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Schwabenstreich an der Saale hellem Strande[gerichtsbericht]
Tante Sigurd verstarb 1985. Sie vermachte ihrem Augsburger Enkel Florian eine wohl gefüllte Schmuckschatulle sowie
ein Wohngrundstück in einer mittelalterlichen Stadt im Osten, weit hinter dem eisernen Vorhang. Die goldenen Ringe waren
schnell versilbert, nur mit dem Fachwerkhaus von Anno Knips wußte Florian nichts anzufangen. Das änderte sich
blitzartig, als im November 1989 die Berliner Revolutionäre zum Sturm auf den Ku-Damm bliesen. Florian fuhr in das
lauschige Örtchen an der Saale hellem Strande und besichtigte zum ersten Mal sein Eigentum. Das Haus stand in bester
Lage in einer Einkaufsstraße, die direkt zum Marktplatz führte. Zum Grundstück gehörte parkähnlicher
Garten an der Rückfront mit unverbaubarem Blick auf die Auenlandschaft. Doch damit erschöpften sich bereits
sämtliche Vorzüge. Das seit Jahren leerstehende Gebäude befand sich in einem jammernswerten Zustand.
Florian war kein Baufachmann, aber er erkannte auf den ersten Blick, daß diese Bruchbude ihre Zukunft schon lange
hinter sich hatte. Er fügte sich in sein Schicksal und wartete ab. Nach der Jahrtausendwende präsentierte sich
das Städtchen bereits in einem ganz anderem Bilde. Über die Hälfte der alten Häuser im Zentrum erstrahlte
wieder in alter Schönheit, und Florian fand endlich eine liquide Bauträgergesellschaft, die zu einem annehmbaren
Preis bereit war, ihm das Grundstück abzukaufen. Auch im Nachbarhaus begannen die Rekonstruktionsarbeiten. Aber es gab
Probleme. In den Balken und Dielen nistete, wie sich bald herausstellte, der Echte Hausschwamm (Serpula lacrimans), das Myzel
überzog die Oberfläche des Holzes und löste die Cellulosewände auf. Abhilfe konnte nur durch restloses
Entfernen des erkrankten Holzes und eine sorgfältige Desinfektion der noch nicht betroffenen Teile geschaffen werden -
eine äußerst kostspielige Angelegenheit. Bauherr Bert schrieb einen Brief an Florian: "Der Ausgangspunkt des
Hausschwamms dürfte in Ihrem Schutthaufen zu finden sein. Sie haben es in den langen Jahren verabsäumt, geeignete
Vorsorge zu treffen. Ich fordere Schadensersatz." Als Florian nicht reagierte, beantragte Bert ein gerichtliches
Beweissicherungsverfahren, in dem ein Gutachter klären sollte, ob der Schwamm durch die Wände gedrungen war.
Das Gericht bestellte einen Sachverständigen, und der Bautenschutz-
beauftragte meldete sich zu einem Besichtigungstermin an. Die Schlinge zog sich langsam zu. Aber die Schwaben sind schlau.
Florian mietete kurzerhand einen Bulldozer, ließ die Bruchbude dem Erdboden gleichmachen und den Schutt abfahren.
Der Gutachter am nächsten Tag machte eine lange Nase. Das hohe, sehr verärgerte Gericht meinte jedoch:
"Wenn der Beklagte die Beweisführung unmöglich macht, sind die vom Kläger behaupteten Tatsachen als
bewiesen anzusehen." Florian muß das Beweissicherungsverfahren bezahlen, und falls er es auf einen Prozeß
um die Sanierungskosten ankommen läßt, wird er auf jeden Fall verlieren. Ludwig Uhland dichtete passend dazu:
"Die Streiche sind bei uns im Schwang; sie sind bekannt im ganzen Reiche,
man nennt sie halt nur Schwabenstreiche." |